Über den Netzfluss und in die Wälder.

Heath Bunting überquert Grenzen - national, begrifflich und virtuell.

Heath Bunting wurde Mitte der neunziger Jahren als einer der prominentesten Netzkünstler von Veranstaltung zu Veranstaltung gereicht. 1997 erklärte er sich für frühzeitig pensioniert, das Netz für uninteressant und verschwand von der Bühne der Kunst. Nun hat er sich mit dem Projekt «BorderXing guide» zurückgemeldet.

Von Villö Huszai.

«BorderXing guide», Heath Buntings neuste Kunstaktion, ist eine Anleitung, wie man Grenzen ohne Papiere überqueren kann. Dafür hat Bunting innerhalb von sechs Monaten insgesamt zwanzig innereuropäische grüne Grenzen selber überquert. Als Brite besitzt er zwar einen EU- Pass, freiwillig geht er aber Wege, die Flüchtlinge und Papierlose wählen müssen, wollen sie von einem Land in ein anderes gelangen. Seine Passagen hat Bunting im Internet laufend mit Reisefotos, Informationen zur benötigten Ausrüstung und kurzen Kommentaren dokumentiert. Seit Juni dieses Jahres ist die Dokumentation auf der Website der Tate Modern aufgeschaltet.,p> Die Kommentare zu den Grenzüberschreitungen geben in der für Bunting charakteristischen Lakonie sachdienliche Erfahrungen weiter. So informiert er uns etwa darüber, dass das Wetter beim «Bordercrossing» eine wichtige Rolle spiele. Er empfiehlt uns, im Voraus abzuklären, ob Berghütten auch wirklich offen seien. Und Bunting rät auch, dass man sich stets darauf vorbereitet halte, aufgeben und umkehren zu müssen. Ein Westeuropäer, privilegiert wie sein Publikum, berichtet von Wegen, die man aus eigener Erfahrung nur von Freizeitaktivitäten oder aber aus Zeitungsberichten über Grenzvorfälle kennt.

PURE SCHIKANE?

Visuell trifft man auf der Internet-Site «BorderXing guide» die von Bunting in den neunziger Jahren massgeblich mitgeprägte Low-Tech-Ästhetik an - falls man sich die Mühe macht, die Site aufzusuchen. Denn sie weist eine Eigenheit auf, die bei der Sponsorin Tate anfänglich für nicht geringe Irritation sorgte: Auf die eigentliche Dokumentation kann man nämlich nicht von jedem beliebigen vernetzten Computer aus zugreifen. Bunting hat die Site so programmiert, dass sie sich nur von ganz bestimmten Orten aus ansehen lässt. Man könnte dies für die lästige Schikane eines missgelaunten Netzkünstlers halten, der seinem Publikum die Bequemlichkeit des weltweiten Zugangs via Internet nicht gönnt. Für eine Laune ist die Klausel jedoch zu dicht in «BorderXing guide» als Ganzes eingeflochten. Und mehr noch korrespondiert die Klausel mit den Anfängen von Buntings nun schon fast zehn Jahre dauernder Auseinandersetzung mit dem Medium Internet.

Die Orte, an denen sich «BorderXing guide» einsehen lässt, bieten öffentlichen Internet-Zugang an. Vor dem Publikum war schon der reisende Künstler Bunting auf dieses Angebot angewiesen: Nach einer Grenzüberschreitung galt es, die Digitalaufnahmen möglichst bald im Netz zu sichern. Die Orte, an denen das Publikum «BorderXing guide» rezipiert, sind die Orte, die Bunting während seiner Reisen für die Produktion von «BorderXing guide» aufgesucht hat.

Wer auf dieser letzten, harmlosen Wegstrecke den Fussstapfen des Künstlers folgt, wird in Zürich beispielsweise die «Acxess Computerstube» an der Scheuchzerstrasse 79 vorfinden, ein seit 1996 existierendes Kleinunternehmen, halb Werkstatt, halb öffentlicher Raum, in dem ein dreiköpfiges Team Firmen und PC-Besitzern aus dem Quartier Support oder öffentlichen Internet- Zugang anbietet. Das Wiener Publikum von «BorderXing guide» lädt Bunting zu einem Besuch des dortigen Media-Labs «Public Netbase» ein. Das Belfaster Publikum wird in eine öffentliche Bibliothek gebeten und die Berliner zum Büro des Netzkultur-Festivals «Transmediale». Bunting charakterisiert die Server, von denen aus sein Kunstwerk betrachtet werden kann, als «social clients».

DIALEKTIK DER NEUNZIGER JAHRE

Die Unmöglichkeit, «BorderXing guide» vom heimischen PC aus zu betrachten, und der Terminus «social clients» sind typisch für Bunting und führen in die Gründerjahre des Massenmediums Internet zurück. 1994, als das Netz einer breiteren Öffentlichkeit allmählich zum Begriff wurde, baute der damals in London lebende Bunting ein Bulletin Board System (BBS - ein Vorläufer der heutigen Mailingliste) namens «Cybercafé» auf. Der Name war Programm: «Cybercafé» stand für ein Programm, das die Kommunikation über das Bulletin Board System mit einem realen Treffpunkt in London kombinierte. Die Massnahme war einigermassen dialektisch: Bunting wollte die BBS-Mitglieder, die er eben für die digitale Kommunikation gewonnen hatte, auch gleich wieder von ihren Bildschirmen weg, in einen realen, sozialen Raum, locken. Diese Dialektik ist grundlegend für die Netzkunst-Generation der neunziger Jahre: Diese Generation hat das Netz einerseits entdeckt und gefördert, hat aber fast im selben Atemzug einen zähen Kampf gegen die notorische Überschätzung des Mediums aufgenommen.

Denn die sogenannte «Netzkunst» oder «Net Art», die Mitte der neunziger Jahre einer breiteren Öffentlichkeit zum Begriff wurde, hat sich weniger für das Netz als technisches Gebilde oder als wertneutrales Trägermedium interessiert als für das Netz als demokratisches, einer breiten Öffentlichkeit zugängliches Instrument der Kommunikation. Nicht die Erfindung des Internets ist darum die Geburtsstunde der ersten Netzkunst- Generation, sondern die Popularisierung des Internets im Jahre 1993 durch das am Genfer Cern konstruierte World Wide Web. Darauf hat der Publizist und Netzkunst-Spezialist Tilman Baumgärtel in einem Interview der Online-Zeitschrift http://www.dichtung-digital.de Ende letzten Jahres zu Recht noch einmal hingewiesen.

MANIFEST DER NETZKUNST

Heute erst, da die Hysterie rund um die Neuen Medien und die New Economy allmählich abklingt, entpuppt sich diese Dialektik als vernünftiger Umgang mit der neuen Technologie: Wir sind gerade dabei, sie zu erproben und zugleich die Frage ihres gesellschaftlichen Nutzens wieder ins Zentrum zu stellen. Wenn Bunting 1994 sein Bulletin Board System mit einem realen Treffpunkt kombinieren wollte, dann aus der Einsicht heraus, dass der Gebrauch von Technologie der Einbindung in übergeordnete Zielsetzungen bedarf. Schon 1994 hat Bunting solche Ziele formuliert und damit ein Manifest der Netzkunst geschaffen: «aims: promote/create spaces/situations in which people can create/behave/express experience in ways unavailable in currently existing places. uphold dignity/ creativity.»

Buntings Vision eines gemeinschaftlich genutzten Cybercafés blieb unrealisiert. Knapp zehn Jahre später nimmt Bunting denselben Gedanken wieder auf. Statt im Stil der neunziger Jahre von einem eigenen Ort zu phantasieren, lädt Bunting sein Publikum an schon bestehende Orte ein, die zu temporären Ateliers und zu White Cubes von «BorderXing guide» umfunktioniert werden. Inwiefern sie als «social clients» seiner Zielsetzung der «Aufrechterhaltung von Würde und Kreativität» dienen, könnte eine für den zukünftigen Umgang mit Technologie interessante Frage sein.

MUT ZUM REBELLISCHEN

Auf der Homepage der Tate ist die Rubrik «Net Art» nicht bei den künstlerischen Inhalten, sondern in einer sonst nur Administrativem gewidmeten Liste aufgeführt. Diese Zurückhaltung der traditionsreichen Institution wird aber mehr als wettgemacht durch den Mut, sich nach Graham Harwood und seinem umstrittenen Projekt «Harwood De Mongrel Tate Web Site» noch einmal auf einen Rebellen einzulassen. Bunting liess schon in der Projektbeschreibung zuhanden der Tate keinen Zweifel aufkommen: «BorderXing guide» ist Kunst hart an der Schwelle zur politischen Aktion. Dass die Dokumentation auf der Tate-Homepage als konkrete Wegbeschreibung für den Ernstfall taugt, kann bezweifelt werden. Dass «BorderXing guide» sich als Informations-Drehscheibe für illegale Grenzgänger gebärdet, ist ein künstlerisches Plädoyer für die Legitimität einer vom Gesetz kriminalisierten Praxis. Vor allem aber unterwandert der Passinhaber Bunting im buchstäblichen wie übertragenen Sinn mit jeder Teilstrecke seiner Kunstaktion das Stigma des Verbrecherischen, mit dem die Festung Europa ihre illegalen Einwanderer belegt.

Bunting hat angekündigt, als nächste Stufe den Tunnel zwischen Frankreich und seiner Heimat ohne Papiere zu passieren und das Projekt später auf die äusseren Grenzen Europas auszuweiten. Spätestens dann wird der Reisepass das Stigma des Verbrecherischen nicht mehr wirksam fernhalten: Mit seinem Tun wird Bunting nicht nur die Toleranz der Grenzhüter, sondern - aus künstlerischer Perspektive brisanter noch - auch die Toleranz des Publikums auf eine immer härtere Probe stellen.

LABEL NETZKUNST

Würde die Tate den Begriff Netzkunst im Sinne der traditionellen Einteilung der Künste auslegen, dann könnte sie nur als Netzkunst gelten lassen, was sich des Trägermediums Internet bedient. Gegen eine solche Auffassung des Genres Netzkunst spricht die Eigenschaft des Computers, alle möglichen Medienformate, Text, Video oder Musikdaten, zu integrieren und simulieren zu können. Wenn ein Medium alle anderen Medien schlucken kann, taugt dieses Medium nicht mehr ernsthaft als Einteilungskriterium. Tilman Baumgärtel plädiert für eine möglichst liberale Auslegung des Begriffs Netzkunst. Er hat auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen, den Begriff ganz fallen zu lassen. Wie die meisten sogenannten Netzkünstler der neunziger Jahre hat sich auch Bunting immer nur ironisch des Labels bedient - und spätestens im Zusammenhang mit seiner selbst erklärten «vorzeitigen Pensionierung» im Jahre 1997 hat er es auch explizit zurückgewiesen. Wobei für diesen Standpunkt wohl weniger Argumente kunsthistorischer Systematik ausschlaggebend waren als die Einsicht, dass der Begriff Netzkunst in den neunziger Jahren die Überschätzung des technischen Mediums mittransportierte.

Als Bunting 1997 das Netz für uninteressant und unwichtig erklärte, hatte das weniger mit einer faktischen Abkehr vom Medium zu tun: Es ging im vielmehr darum, gegen die Fetischisierung des Netzes in den neunziger Jahren zu polemisieren. Denn eines ist unbestreitbar: Auch aus all den Arbeiten, die Bunting nach 1997 realisierte, ist das Netz nicht wegzudenken. Die Tate hält am umstrittenen Label fest und engagiert einen Künstler, der dem Label grösstmögliche Offenheit abverlangt. Das könnte richtungsweisend sein.